Der König der Lüfte

Grundsätzlich gehe ich Flugzeugen ja grossräumig aus dem Weg, sofern es irgendwie möglich ist. Mal abgesehen davon, dass ich diesen Dingern in etwa gleich viel Vertrauen entgegenbringe, wie der zwielichtigen Werbeanruferin, die mich in ihrem gebrochenen Deutsch zwanghaft von ihren Diätpillen überzeugen möchte: Der Mensch ist schlicht und einfach nicht für das Fliegen gemacht. Ich meine, siehst du irgendwo an deinem beschissenen Körper Flügel? Nein? Eben, sag ich doch! Da ich morgen aber ein wichtiges Geschäftsmeeting in New York habe, muss ich wohl oder übel einmal quer durchs Land düsen. Aus der Stadt der Engel zum JFK International – Toll, ich habe in nächster Zeit weder vor mit den Engeln zu singen noch JFK persönlich kennenzulernen, schlechtes Omen also. Egal, ich bestelle mir nochmals einen Whiskey, kipp ihn runter und steig eifrig ins Taxi Richtung Flughafen.

Eine gute halbe Stunde später zeigt der Taxameter 79.65 an. Ich reiche dem dicken Taxifahrer einen 100-Dollar-Schein nach vorne, in der Hoffnung, er legt das üppige Trinkgeld in einem Fitnessabo an  man soll ja schliesslich immer positiv denken. Dies fällt mir angesichts des aufsteigenden Kerosin Geruchs aber reichlich schwer. Mir wird übel. Doch statt mich zu übergeben, gehe ich rasch in die nächste Bar, um mir einen Drink zu bestellen und meine Gedanken neu zu ordnen. Fünf Flugstunden trennen Los Angelos und New York. Genug Zeit also, um mir Nicolas Cage als John McLoughlin drei Mal in Serie zu geben. Doch es gibt bestimmt bessere Ablenkungsmethoden als sich drei Mal in Folge anzusehen, wie Flug UA 175 ungebremst in das bis dato höchste Gebäude der Welt donnert. Okay James, denk jetzt rational, Zahlen helfen bestimmt: Das Flugzeug gilt nach dem Schiff und dem Zug als das drittsicherste Verkehrsmittel der Welt! Die Wahrscheinlichkeit mit dem Flugzeug abzustürzen beläuft sich auf 1:30 Millionen. Gut, nun bin ich zumindest etwas beruhigt. Ob dies dem Whiskey oder doch den Statistiken zuzuschreiben ist, lässt sich aber schwer sagen. Ich steck mir eine Kippe an, bezahle meine Rechnung und mach mich auf den Weg zum Terminal in der Hoffnung, dass seit dem letzten Flugzeugunglück noch keine 29’999’999 sicher gelandet sind.

Nach überstandenem Sicherheitscheck und Boarding sitze ich nun in diesem verdammten Blechvogel und warte auf den Take-Off. Trockener Mund, schweissnasse Stirn, Puls 170. Gott, wie ich das Fliegen verabscheue. Derweil hält der Typ zu meiner Linken ein gepflegtes Nickerchen. Wie kann der Scheisskerl nur pennen?! Nach einer gefühlten Ewigkeit rollen wir in Richtung Startbahn. Das Röhren der Triebwerke macht mich wahnsinnig – Puls 180. Kaum auf der Startbahn angekommen geht’s auch schon los. Mit 10 m/s beschleunigt der Flieger und es drückt mich tief in meinen Sitz rein – angehaltener Atem, Puls 185. Als ich mich wieder traue Luft zu holen, sind wir bereits in der Luft und im steilen Steigflug, es drückt mich immer weiter in meinen gottverdammten Sitz. 

Dann plötzlich ein lauter Knall! Der Typ zu meiner Linken erwacht aus seinem Mittagsschläfchen, von der Decke fallen die Sauerstoffmasken, das Kleinkind hinter mir beginnt zu schreien. Und ich tue es ihm gleich – Puls 200, Tendenz stark steigend. Die monotonen Anweisungen des Maitre de Cabine verhallen in einem Gemisch von Treibwerklärm und dem Geschrei der Passagiere. Wir befinden uns bereits im rasanten Sturzflug. Ich blicke aus dem Fenster und sehe die Lichter der Stadt Los Angelos auf uns zukommen. Ich setze zu einem Stossgebet gen Himmel an. Der Pilot setzt derweil zur Notlandung an. Wir schlagen hart auf. Die Reifen beginnen zu quietschen, ein zweiter ohrenbetäubender Knall ertönt. Ich pralle mit meinem Kopf gegen den Vordersitz, eine kalte Flüssigkeit läuft mir von der Stirn – ich blute. Mir wird langsam schwummrig, alles verschwimmt vor meinen Augen. Ich rieche Rauch, unter meinem Sitz wird es langsam warm. Meine Gedanken sind bei Kate und den Kindern, dann trete ich weg.

Als ich wieder zu mir komme, liege ich auf einer dünnen Stoffpritsche. Ich setze mich langsam auf, nehme mein iPhone hervor und öffne Google Maps: Los Angeles – New York, 2’827 Meilen, 41 Stunden Fahrzeit. Ich rufe mir ein Uber und schwöre mir, nie mehr in ein Flugzeug zu steigen.

Ausgehender Zeitungsartikel

Ein Airbus A320 der Airline JetBlue musste gestern in Los Angelos notlanden. Bei der Landung blockierte das Vorderrad des Flugzeuges. Durch die Reibung auf der Landepiste verbrannte der Reifen und es brach ein kleines Feuer aus. Der Airbus kam kurz vor Ende der Landebahn sicher zu stehen. Die 140 Passagiere darunter 4 Schweizer und die 6 Besetzungsmitglieder blieben unverletzt.